MEINE TEXTE
Dass das eigene Selbstbild von anderen ohne Einschränkung zum Nennwert akzeptiert wird, ist vermutlich jedermanns Wunsch. Nicht ohne Grund ist Luhmanns primäre Empfehlung zum erfolgreichen Umgang mit Vorgesetzten, diesen ihr Selbstbild zu reflektieren. Wenn der Chef sich für besonders eloquent, besonders innovativ oder besonders durchsetzungsstark hält, dann kommuniziert man mit ihm eben, als wäre er es wirklich. Genauso arbeitet auch die Werbung, die keine Sekunde daran zweifelt, dass wer sich für besonders männlich hält, deswegen besonders männliche Produkte kauft, eben auch besonders männlich ist. Eine schöne Welt, in der man nicht nur so akzeptiert wird, wie man ist, sondern sogar – noch viel besser – so, wie man sich selbst am liebsten sieht.
Viele der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte haben damit zu tun, dass einzelne oder Gruppen einfordern, dass ihr Selbstbild von allen anderen ohne jede Einschränkung zum Nennwert akzeptiert wird. Da der Mensch der Disposition nach zur spöttischen Kritik neigt – umso mehr, je weiter Selbstbild und Wirklichkeit auseinanderfallen – kann das letztlich nur unter Einschränkung der Meinungsfreiheit funktionieren. Nur die Drohung mit Strafe kann einstweilen verhindern, dass über Absurdes gespottet wird. Aber kann das auf Dauer funktioniert? Ich habe meine Zweifel. Mit jeder Absurdität steigen die Kosten der Unterdrückung – und der Wille, die Wahrheit auszusprechen, wird stärker. Und uns alle – insbesondere die Mächtigen – durch Feedback des Umfelds in der Realität verankert zu haben, erscheint mir jetzt auch nicht gerade als Schreckenswelt.
Geschrieben im August 2025 | Kategorie: Betrachtungen
Es ist nicht so, dass Konzerne ihre Economics nicht kennen. In jedem Unternehmen gibt es Menschen, die eins und eins zusammenzählen können und von vorneherein erkennen, welche Anreize ihrem Arbeitgeber in dem System, in dem er sich bewegt, gesetzt sind. Doch sie sind nicht allein. Und warum sollte man nicht versuchen, der Natur, hier in ihrer sozialen Form des ökonomischen Gesetzes (Böhm-Bawerk), zu trotzen, argumentieren andere, der Konzern sei groß, er sei stark, es werde ihm gelingen. Doch am Ende, nach einigem Hin und Her, strategischen Schwenks und Managementwechseln, siegt immer das ökonomische Gesetz und das Unternehmen folgt seinen Anreizen.
Gesprochen mit Churchill: Man kann sich darauf verlassen, dass Konzerne immer das ökonomisch Richtige tun werden – nachdem sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.
Geschrieben im Juli 2025 | Kategorie: Unternehmenskultur
Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist, dass wir geworden sind, was wir sind. Wir entstehen erst aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben. Hätten wir nicht diese, sondern anderes erlebt, wir wären nicht, wer wir sind. Alles, was wir tun, verändert uns. Deswegen stellt sich auch permanent die Frage, ob das, was man gerade tut, einen näher an das Ideal bringt, das man von sich selbst hat, oder ob es einen weiter davon entfernt und es Zeit wird, innezuhalten. Das gilt vor allem auch für den Beruf. Der gewählte Beruf formt den Menschen. Man kann nicht Jahrzehnte als Buchhalter, Lehrer oder Landwirt arbeiten, ohne Buchhalter, Lehrer oder Landwirt zu werden.
Was kostet einen die Managementkarriere? Vor allem die Phantasie. In einer Welt, in der kurzfristige, greifbare Ergebnisse gefordert sind und Pläne, diese zu erreichen, leidet die Vorstellungskraft. Je länger der Manager Manager ist, desto mehr gleicht selbst das, was als Vision inszeniert wird, dem, was sowieso schon auf der Hand liegt. Für mehr reicht die Phantasie nicht mehr. Sowieso ist Phantasie zu haben gefährlich. In einem Umfeld, in dem alle anderen nach kurzfristigen, greifbaren Ergebnissen suchen, ist der Phantast nicht nur nicht anschlussfähig, er stört den optimierten Ablauf.
Was bleibt? Der tägliche Kampf, sich seine Phantasie zu erhalten. Anders geht es nicht.
Geschrieben im Juli 2025 | Kategorie: Unternehmenskultur
Verdächtigungen gegenüber dem, was althergebracht ist, bilden eines der wesentlichen Motive der Gegenwart. Und so trifft es auch die deutsche Sprache, die für Verdächtigungen vermeintlich Anlass bietet, gerade wenn das Verständnis ihrer an Grenzen stößt. Denn sie ist nun einmal asymmetrisch: Es gibt für viele Substantive und die dazugehörigen Pronomen eine generische und eine weibliche Form, aber keine explizit männliche Form. Dass im allgemeinen Sprachgebrauch die generische Form dominiert, ist kein Zufall: Nur in den seltensten Fällen soll doch mit einem Substantiv auch das biologische Geschlecht des Bezeichneten mitgeteilt werden. Man braucht einen Arzt, Handwerker oder Helfer, das biologische Geschlecht ist meist irrelevant. Nur sehr selten ist es überhaupt von Bedeutung (»Olympiasieger der Frauen«, »männlicher Briefmark«). Die deutsche Sprache macht es dann deutlich einfacher das weibliche Geschlecht mitzuteilen (»Ärztin«) als das männliche (»männlicher Arzt«) – eine Asymmetrie, die sich auch deswegen erfolgreich durch die Jahrhunderte getragen hat, weil das Kommunizieren des biologischen Geschlechts eben wirklich nur so selten notwendig ist.
Dass mangelndes Sprachverständnis aus der generischen Form eine männliche machen möchte, also da, wo es »Mitarbeiterinnen« gibt, »Mitarbeiter« nur männlich sein können, nimmt der deutschen Sprache ihre Konsistenz. Denn wird »Mitarbeiter« nun rein männlich, gibt es auf einmal keine generische Form mehr. Kommunikation ohne Mitteilung des Geschlechts wird unmöglich. Dieses Vorgehen macht zusätzlich klassische Literatur unverständlich. Zu Zeiten Goethes war der »Arzt« zwar meistens biologisch männlich, das Wort als solches aber weiterhin indifferent bezüglich des biologischen Geschlechts. Ein anderes Leseverständnis bringt einen um die Freude am Lesen.
Was also tun zur Verteidigung der Sprache? Mehr Deutschunterricht in der Schule ist vermutlich sowieso eine gute Antwort. Es geht aber noch mehr: Denn dann, wenn das biologische Geschlecht der Bezeichneten wirklich egal ist, sollte man – entgegen der bei vielen eingeschliffenen Mode – keine geschlechtsmarkierten Formen verwenden. »Liebe Kolleginnen und Kollegen« verursacht den Zweifel, ob »Kollegen« wirklich generisch gemeint ist. Und ein weiblicher Arzt ist auch eine Ärztin, aber wenn ihr biologisches Geschlecht irrelevant ist, dann ist die Bezeichnung »Arzt« doch genauso informativ.
Geschrieben im November 2024 | Kategorie: Betrachtungen
Politisch zu sein, das hat als Personenbeschreibung nicht die beste Reputation. Wenn man diese Bezeichnung verwendet, sollte man also sagen, was man damit meint. Ich verwende ihn und was ich damit meine, ist vor allem nicht das, was heutzutage auch Aktivist genannt wird: Sich einer bestimmten Sache oder Gruppe zu verschreiben und deren Interesse et pereat mundus zu befördern. Aktivismus kann je nach Objekt eine negative Reputation haben (Lobbyisten) oder eine positive (Umweltschützer), es ist für mich aber nicht politisch. Aktivismus ist einfach. Für Aktivisten ist immer klar erkennbar, was richtig und was falsch, was gut und was böse ist. Applaus gibt es immer mindestens von den Gleichgesinnten. Politisch zu sein, das ist sehr viel schwerer.
Politisch zu sein, das heißt für mich, sich zum Teil des Prozesses zu machen, dem es um das Gemeinwohl geht. Und das in einer Welt, in der Gesellschaft immer diffuser wird, und was Gemeinwohl ist immer schwerer zu greifen. Der konkrete Inhalt des Gemeinwohls entsteht erst im politischen, demokratischen Prozess. Politisch zu sein heißt, nicht eine einzelne Sache et pereat mundus zu befördern, sondern alle Sachen in Ausgleich zu bringen, Kompromisse einzugehen und diese als richtig und klug zu verteidigen. Das ist schwer, dafür gibt es keinen Applaus, aber ohne Menschen, die sich geduldig und tapfer darauf einlassen, gibt es keine Gesellschaft.
Geschrieben im November 2024 | Kategorie: Betrachtungen
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