Endgame Fallacy

Komplexität reduzieren zu können und dadurch Sachverhalte diskutierbar und vor allem Probleme lösbar zu machen, ist eine der Kernfähigkeiten in der Moderne. Es gibt dafür unterschiedliche Tricks und Kniffe. Ein Trick, dem ich immer wieder begegne, bezeichne ich als Endgame-Betrachtung: Manchmal sind Entwicklungen komplex, man kann aber relativ gut beschreiben, was für ein Zustand an deren Ende besteht. Man beschreibe also diesen Endzustand und leite daraus dann Handlungen ab, ohne jedes Zwischenstadium mitdiskutieren zu müssen.

Mit dieser Komplexitätsreduktion geht aber gewöhnlich noch etwas anderes einher: Der Verlust von Zeitlichkeit. Und das ist oft problematisch. Denn meistens spielt es eben doch eine Rolle, ob das Endgame sehr zeitnah oder erst in ferner Zukunft erreicht wird – und vor allem auch, ob man sein Eintreten früher herbeiführt oder hinauszögert.

Ein Beispiel: „In the long run we’re all dead“ (Keynes) ist unzweifelhaft richtig. Ob man früher oder später stirbt, ist aber schon nicht unwichtig. „Wenn ich im Endgame eh tot bin, kann ich eigentlich (heute) auch die Nahrungsmittelaufnahme einstellen“ ist daher auch ein offensichtlich depperter Vorschlag. Relativ oft begegne ich allerdings Endgame-Betrachtungen, wo genau so etwas abgeleitet wird.

Man sei also auf der Hut vor dieser Fallacy. Es sei denn, man will betrügen – dafür eignen sich Endgame-Betrachtungen relativ gut...

Geschrieben im Oktober 2019 | Kategorie: Allgemeine Betrachtungen

Aporie des teuren Hochgenusses

Es gibt von einem selbst ausgehende Handlungen, bei denen man, egal wie die Sache endet, nur verlieren kann. Offen im Moment der Ausführung ist ausschließlich, wie sehr man verliert.

Eine solche Handlung ist zum Beispiel, sich wider aller Hemmungen irgendwann doch einmal eine sehr, sehr teure Flasche Wein zu gönnen. Noch am wenigsten verliert man, wenn diese Flasche Wein eine Enttäuschung ist. Man hat dann einige hundert Euro in den Sand gesetzt für ein Vergnügen, das man deutlich billiger auch hätte haben können. Wirklich zur Erkenntnis gelangt, ob teurer Wein sich lohnt, ist man auch nicht. Es könnte ja gerade diese eine Flasche – und nur diese eine – so enttäuschend sein, alle anderen teuren Weine sind vielleicht doch Gottesnektar.

Doch es geht noch schlimmer: Was ist, wenn der teure Wein doch so gut ist, wie es sein Preis erwarten lässt? Dann ist man ruiniert. Denn ab sofort wird kein günstigerer Wein mehr munden. Man muss jetzt wirklich Geld verdienen und ansonsten sparsam leben, um sich regelmäßig den fast unbezahlbaren Genuss zu verschaffen. Und wer weiß: Vielleicht sind noch viel teurere Weine ja noch besser? Vom Glück ist man auf jeden Fall jetzt noch viel weiter entfernt.

Geschrieben im April 2019 | Kategorie: Allgemeine Betrachtungen

Re: The Trouble With Talking

Zu: Kathrin Passig im Merkur, Dezember 2018: The Trouble With TalkingGrundsätzlich halte ich die schriftliche Kommunikation der mündlichen gegenüber für überlegen und würde den langen Text jederzeit, zumindest bei komplexen Themen, dem Gespräch oder Vortrag vorziehen. Ich teile auch die Argumente, die Kathrin Passig dazu im Merkur vorträgt, nämlich dass schriftliche Kommunikation eigentlich weniger missverständlich sei als die mündliche und auch weniger anfällig für Diskriminierung. Zwei einschränkende Anmerkungen aus dem Unternehmensalltag heraus für die Praxis will ich dennoch machen:

Erstens: Das Ergebnis der Abwägung zwischen dem Schriftlichen und dem Mündlichen fußt auf der Annahme, dass die Akteure die schriftliche Form mindestens so gut beherrschen wie die mündliche. Das ist in einem literatur- oder universitätsnahen Umfeld vermutlich zutreffend. In meinem Unternehmensumfeld ist dem nicht so. Ich habe schon Mails gesehen, die als freundliche Nachfragen an den Chef gemeint waren, sich aber wie Putschversuche gelesen haben – und vom Chef auch so interpretiert wurden (mit den entsprechenden negativen Nebenwirkungen für den Absender). Oder Mails, die als Alarmmeldung gedacht waren, deren brisanter Inhalt ausnahmsweise Schriftgröße 32, rote Farbe und Fettdruck gerechtfertigt hätten, niedergeschrieben aber wie eine freundlich und höflich vorgetragene Bitte klangen. In der schriftlichen Kommunikation sind manche in meinem Umfeld einfach sehr, sehr schlecht.
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Geschrieben im Dezember 2018 | Kategorie: Unternehmenskultur

Das verborgene Engagement

Es heißt ja dauernd, gerade junge Menschen würden sich immer weniger in Vereinen usw. engagieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das stimmt. Denn wie so vieles hat sich auch dieses Engagement in Teilen ins Internet verlagert und dort neue Formen gefunden – nur der Umgang damit ist immer noch ein anderer.

Dass jemand Kassenprüfer beim örtlichen Kleingärtnerverein ist, findet sich sogar im Lebenslauf, mit dem sich bei einen DAX-Konzern beworben wird (schon gesehen!). Dass aber jemand als Poweruser in einem hochspezialisierten Nischenforum sein Wissen und Können teilt oder dass jemand in der Wikipedia in einem speziellen Themenbereich fast jeden Tag Artikel erstellt und andere verbessert, damit wird außerhalb des Betroffenenkreises doch eher verstohlen umgegangen. Ich warte auf den Tag, an dem ich so etwas zum ersten Mal in Bewerbungsunterlagen entdecke.

Geschrieben im Dezember 2018 | Kategorie: Allgemeine Betrachtungen

Spaß bei der Arbeit

Mit Präpositionen im Deutschen ist das so eine Sache. Weil sie unterschiedliche Bedeutungen haben können, verwirren sie manchmal mehr, als dass sie eine Sache klar werden lassen. Dass die Mitarbeiter Spaß bei der Arbeit haben sollen, ist mittlerweile eine hohe Maxime der zeitgemäßen Führung. Doch gerade in diesem Satz kann die Präposition „bei“ zu einem Missverständniss führen.

Der erste Gedanke ist, das „bei“ zeitlich zu nehmen (ähnlich wie bei: „bei der Abfahrt des Zuges“, „bei Nacht“). Es ginge also darum, dass man während der Arbeitszeit Spaß hat. Das ist auch richtig (Spaß außerhalb der Arbeitszeit ist ganz sicher nicht gemeint), aber noch nicht präzise genug. Natürlich ist die Vorstellung reizvoll, in der Arbeitszeit in den Freizeitpark zu fahren. Dass die Kollegen mit dabei sind, ist dann ein kleiner Preis. Spaß ist dafür zwar der richtige Begriff, doch nachhaltig ist das nicht und das weiß auch jeder. Ich habe noch niemanden sagen hören: „Mein Job ist ziemlich mies, aber einmal im Jahr machen wir eine lustige Fahrt, deswegen würde ich schon sagen, dass ich Spaß bei der Arbeit habe.“ So läuft es einfach nicht.

Eigentlich geht es doch darum, dass man arbeitet – also seine Zeit und Energie produktiv und zielbewusst einsetzt – und dabei auch noch, als begleitender Umstand etwas oder etwas mehr Spaß hat. „Bei“ ist da die Präposition des begleitenden Umstands (etwa wie „bei größter Anstrengung“). Der Begriff „dabei“ beschriebe die Sache präziser. Es geht darum zu arbeiten und dabei auch noch begleitend Spaß zu haben.

Hier aber hilft die einmal jährliche Fahrt in den Freizeitpark nicht. Sie entspricht eher einem Spaß anstelle der der Arbeit, von der man einstweilen befreit ist. Am nächsten Tag aber ist wieder Leiden angesagt.

Geschrieben im Dezember 2018 | Kategorie: Unternehmenskultur