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Unternehmenskultur

Homeoffice (III/III) – das Schleifen eines Besitzstandes

Es ist um den Menschen so bestellt, dass er sich schwer damit tut, etwas wieder aufzugeben, das er einmal in Besitz genommen hat. Verlustaversion nennen das die Ökonomen und diese trifft nicht nur auf Vermögenswerte zu, sondern auch auf immaterielle Besitzstände.

Nun ist die Argumentation für das Arbeiten aus dem Homeoffice aus Produktivitätsaspekten heraus recht angreifbar [1]. Der private Vorteil, der sich aus der täglichen Entscheidungsfreiheit ergibt, entweder ins Büro zu fahren oder von zuhause zu arbeiten, ist unbestreitbar gewaltig: Es wird nicht nur die Zeit fürs Pendeln eingespart. Vor allem lassen sich die beruflichen Pflichten ideal mit den privaten kombinieren. Während der Corona-Zeit haben viele – meist unfreiwillig – herausgefunden, wie weit sich das sogar auf die parallele Nachwuchsbetreuung erstrecken kann. Die Möglichkeit von privaten Erledigungen während der Kernarbeitszeiten (und im Gutfall die selbstgewählte Verlagerung der Arbeitszeit in die Abendstunden) hat einfach viel für sich.

Über die letzten Jahre des erst erzwungenen und des dann vielerorts fortgesetzten Homeoffice sind diese privaten Vorteile für viele zum Besitzstand geworden. Deswegen ist die Diskussion so schwierig. Über ein Produktivitätsoptimum kann man sachlich streiten [2]. Das Wegnehmen von Besitzständen ist historisch ein nicht unüblicher Auslöser von Aufständen.

Geschrieben im August 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Homeoffice (II/III) – der Beginn der langen Suche nach dem Optimum

Ich glaube daran, dass das Homeoffice unter idealen Voraussetzungen für bestimmte Aufgaben erhebliche Vorteile gegenüber der Arbeit im Büro hat. Wer zuhause ein optimales Setup bezüglich Räumlichkeiten und IT-Ausstattung vorfindet, der wird bei denkintensiven, allein zu lösenden Aufgaben Bedingungen vorfinden, die im Büro nicht zu übertreffen sind: Unterbrechungsfreies Arbeiten bei höchster Konzentration. Wahrscheinlich umfasst jede akademische Tätigkeit Aufgaben, für deren Erledigung dies enorm zuträglich ist. In drei anderen Kategorien halte ich das Arbeiten im Büro dem Arbeiten im Homeoffice aber für überlegen: Koordinieren, Kontroverses und Innovatives.

Akademische Berufe in Großorganisationen sind selten solche, bei denen man allein und für sich eine Aufgabe löst. Das meiste passiert im Team. Jedes Team agiert zudem in enger Abhängigkeit von seiner Umwelt. Beides erfordert ein erhebliches Maß an Koordination. Diese Koordination funktioniert, wenn alle im Büro sind, mit deutlich weniger Zeitaufwand als digital. Der schnelle Zuruf beim Vorbeilaufen ist dem Teams-Call dafür erheblich überlegen. Zumal die Zusammenarbeit im Büro generell informeller ist und durch die Einschränkungen des Informellen im Digitalen eine eigentlich managementideologisch unerwünschte Re-hierarchisierung der Kommunikation stattfindet. Der einfache, breite und informelle Austausch im Büro ermöglicht es jedem, sich selbst Erwartungen (und manchmal auch Aufträge) zu erarbeiten, wo digital die Führungskraft wieder deutlich mehr in ihrer Konzentrationsfunktion, als Auftraggeber und Aggregator der unterschiedlichen (externen) Erwartungen, für ihre Mitarbeiter gefordert wird. Ein Teil des beschriebenen Nachteils bei der Koordination im Digitalen lässt sich kompensieren, indem man mehr Zeit in diese steckt. Aber eben nur ein Teil – und es bleibt dann immer noch weniger Zeit für produktive Aufgaben.

Manchmal funktioniert Kontroverses auch per Teams-Call. Wenn sich Teams gut kennen und jeder gutwillig ist, geht es womöglich gut. Meiner Erfahrung nach allerdings meistens nicht. Die nonverbale Kommunikation in Präsenz wird nicht dadurch ersetzt, dass alle die Kamera eingeschaltet haben, gerade in mittelgroßen Gruppen. Zumal die Gesprächskultur digital – wer erstmal das Wort hat, redet auch bis er alle seine Punkte gemacht hat – auch nicht dazu beiträgt, Debattenpunkte schnell aufzulösen. Kontroverses führt digital zur Konfrontation, wo in Präsenz ein Zwischenruf oder ein Witz den Konflikt womöglich recht banal aufgelöst hätte. Genauso schlimm: Wenn aufgrund solcher negativer Erfahrungen im Digitalen das Kontroverse schlicht vermieden wird.

Miro-Boards und ähnliches sind eine tolle Sache. Was Innovatives angeht, bleiben digitale Kreativ-Sessions aber mangelhaftes Substitut. Innovation lebt von der zufälligen Begegnung, dem spontanen Gedanken, dem Zusammenspielen unterschiedlicher Ideen. All das gibt es sehr viel seltener im Homeoffice.

Kein akademischer Job wird sich nur in diesen drei Kategorien bewegen. Genau wie keiner nur aus konzentriertem Arbeiten besteht. Jeder wird von beidem zumindest einen Teil mitbringen. Es gibt folglich ein Optimum zwischen dem permanenten Arbeiten im Büro und dem permanenten Homeoffice. Ein von den Umständen abhängendes Optimum? Willkommen in einer Debatte, die uns das nächste Jahrzehnt beschäftigen wird.

Geschrieben im August 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Homeoffice (I/III) – das jähe Ende der Euphorie

2020 waren wir noch begeistert: Nach Jahren, in denen man jeden Tag im Büro verbracht hat, stellt sich heraus: Arbeiten funktioniert auch aus dem Homeoffice. Ohne tägliches Pendeln, mit flexibleren Arbeitszeiten und durch die erstmals verbreitete Nutzung von Microsoft Teams oder ähnlicher Software, deren Funktionen erst mit der Zeit erweitert wurden und die zuvor nur von wenigen benutzt wurden, gefühlt sogar ohne einen Verlust an Produktivität. Corona hat uns alle dazu gezwungen, aber gut angefühlt hat es sich trotzdem. Der private Vorteil verband sich hervorragend mit dem alles entscheidenden Produktivitätsargument.

Diese Euphorie ist mittlerweile vorbei. Es hat einen Moment gebraucht, aber mittlerweile ist das Bild recht klar: Im Homeoffice steigt die Produktivität nicht, im Gegenteil, sie ist selbst in repetitiven, koordinationsarmen Aufgaben spürbar verringert [1]. Geht es um Aufgaben, die Koordination mit anderen erfordern, bleibt wegen des gesteigerten Koordinationsaufwands im Homeoffice nicht genug Zeit übrig, um diesen Produktivitätsverlust wieder aufzufangen – selbst wenn im Homeoffice mehr Arbeitsstunden abgeleistet werden [2]. Und dann zieht die Möglichkeit, einen Job aus dem Homeoffice auszuüben, auch noch weniger leistungsstarke Bewerber an als ein klassischer Bürojob [3]. Aktuelle Studien lassen das Homeoffice nicht in einem guten Licht erscheinen.

Geschrieben im August 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Sie sind (nicht) wie wir

Die Reichsproklamation in Versailles von Anton von WernerIm deutsch-französischen Krieg von 1870 bis 1871 war die Mobilisierungsgeschwindigkeit von Deutschen und Franzosen zu Kriegsbeginn sehr unterschiedlich. Dem preußischen Generalstab gelang es mit einer ausgefeilten Eisenbahnlogistik und dem gemeinsamen Transfer von Truppen und Material recht zügig schlagkräftige Verbände an die baldige Front zu verlegen. Parallel herrschte auf der französischen Seite noch Chaos. Einheiten konnten wegen mangelhafter Logistik nur langsam von ihren Heimatstandorten verlegt werden und von denen, die die Grenze erreichten, warteten viele noch lange auf Waffen und Munition.

Dieser Unterschied in der Mobilisierungsgeschwindigkeit hätte maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang des Krieges haben können. Hatte er aber nicht. Aus einem einfachen Grund: Dafür hätten die Deutschen ihn ahnen müssen. Das haben sie aber nicht. Sie gingen im Gegenteil davon aus, dass die Franzosen genauso schnell wären wie sie selbst und warteten daher ab. Die Franzosen wiederum gingen davon aus, die Deutschen seien genauso langsam wie sie selbst, es gäbe also keinen Grund zur Sorge. Der erste Vorstoß des Krieges – die militärisch unsinnige und für die unterlegene Seite riskante Besetzung von Saarbrücken – ging von den Franzosen aus. Preußen gewann den Krieg schlussendlich deutlich – die Mobilisierung war nicht das einzige, bei dem es den Franzosen überlegen war. Hätten die Deutschen allerdings ihre schnellere Mobilisierung ausspielen können, wäre der Sieg womöglich noch schneller und verlustärmer zu erreichen gewesen.

Dem Fehler dahinter, der 1870 Deutsche und Franzosen gleichermaßen traf, begegnen wir auch heute vielfach: Im Zweifelsfall geht man davon aus, dass die andere Seite, mit der man im Konflikt steht, genauso ist, wie man selbst, mit den gleichen Fähigkeiten und dem gleichen Wissen ausgestattet. So abstrakt aufgeschrieben, ist offensichtlich, dass dies ziemlich unsinnig ist. Dass zwei Menschen oder zwei Unternehmen genau gleiche Fähigkeiten und Wissen haben, das ist unrealistisch. Trotzdem verfällt man leicht dieser Annahme: in eigener Selbstüberschätzung (wie die Franzosen) oder in Überschätzung des anderen (wie die Deutschen).

Deswegen lohnt es sich, sich hin und wieder vor ein weißes Blatt Papier zu setzen und aufzuschreiben, was man wirklich sicher über sein Gegenüber weiß – ohne zuvorderst an sich selbst zu denken.

Geschrieben im April 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Menschenbilder im Management

Camus‘ „Mythos von Sisyphos“Aus Camus‘ „Mythos von Sisyphos“ habe ich besonders eine Kontrollfrage mitgenommen, um sie gegen theoretisch-abstrakte Weltdeutungen und die daraus abgeleiteten Strategieempfehlungen zu werfen: Und wenn es wirklich so wäre, was macht das dann aus dem Menschen? Das sprach mit dem Informatiker in mir, der weiß, dass man ab einer gewissen Komplexität Software nicht mehr Zeile für Zeile verstehen kann, sondern stattdessen zum Testen und Bewerten des Outputs übergeht.

Wann immer ich in Managementseminaren sitze oder Managementliteratur lese, werfe ich diese Frage deren Inhalt entgegen. Mit derzeit leider recht unbefriedigendem Ergebnis: Das Menschenbild, das hinter der gegenwärtigen Managementideologie steckt, scheint recht durchgängig – trotz unterschiedlicher Themen und Ansätze – eines zu sein, das den Menschen als ausschließlich gut (und gutmütig) begreift. Ihm stünden noch Hindernisse entgegen, dies auch auszuleben – fehlende Akzeptanz von Emotionen oder mangelhafte Reflektion über Menschlichkeit oder schlechte Organisation –, aber überwinde man diese Hindernisse, dann würde das gute und richtige immer gewinnen (und die Unternehmen dann natürlich auch noch erfolgreicher sein).

Es ist ein durch und durch naives Menschenbild, das konfrontiert mit Büchners Frage, was es ist, das in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet, nur ahnungslos mit den Schultern zucken kann. Interessant ist das auch deswegen, weil das Bild des klassischen Managers das eines rationalen Entscheiders ist, der um ein realistisches Menschenbild schon als Voraussetzung von Rationalität nicht herum kommt. Dazu steht die aktuelle Managementliteratur in fundamentaler Opposition.

Geschrieben im Dezember 2022 | Kategorie: Unternehmenskultur