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Unternehmenskultur

Homeoffice – das Ende der Euphorie

2020 waren wir noch begeistert: Nach Jahren, in denen man jeden Tag im Büro verbracht hat, stellt sich heraus: Arbeiten funktioniert auch aus dem Homeoffice. Ohne tägliches Pendeln, mit flexibleren Arbeitszeiten und durch die erstmals verbreitete Nutzung von Microsoft Teams oder ähnlicher Software gefühlt sogar ohne einen Verlust an Produktivität. Corona hat uns alle dazu gezwungen, aber gut angefühlt hat es sich trotzdem. Der private Vorteil verband sich hervorragend mit dem alles entscheidenden Produktivitätsargument.

Diese Euphorie ist vorbei. Es hat etwas gedauert, aber mittlerweile ist das Bild recht klar: Im Homeoffice steigt die Produktivität nicht, im Gegenteil, sie ist selbst in repetitiven, koordinationsarmen Aufgaben spürbar verringert [1]. Geht es um Aufgaben, die Koordination mit anderen erfordern, steigt der Aufwand für letztere so sehr, dass der Produktivitätsverlust im Homeoffice selbst mit zusätzlichen Überstunden nicht ausgeglichen werden kann [2]. Und dann zieht die Möglichkeit, einen Job aus dem Homeoffice auszuüben, auch noch weniger leistungsstarke Bewerber an als ein klassischer Bürojob [3]. Die aktuellen Studien lassen das Homeoffice nicht mehr in einem guten Licht erscheinen.

Geschrieben im August 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Sie sind (nicht) wie wir

Die Reichsproklamation in Versailles von Anton von WernerIm deutsch-französischen Krieg von 1870 bis 1871 war die Mobilisierungsgeschwindigkeit von Deutschen und Franzosen zu Kriegsbeginn sehr unterschiedlich. Dem preußischen Generalstab gelang es mit einer ausgefeilten Eisenbahnlogistik und dem gemeinsamen Transfer von Truppen und Material recht zügig schlagkräftige Verbände an die baldige Front zu verlegen. Parallel herrschte auf der französischen Seite noch Chaos. Einheiten konnten wegen mangelhafter Logistik nur langsam von ihren Heimatstandorten verlegt werden und von denen, die die Grenze erreichten, warteten viele noch lange auf Waffen und Munition.

Dieser Unterschied in der Mobilisierungsgeschwindigkeit hätte maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang des Krieges haben können. Hatte er aber nicht. Aus einem einfachen Grund: Dafür hätten die Deutschen ihn ahnen müssen. Das haben sie aber nicht. Sie gingen im Gegenteil davon aus, dass die Franzosen genauso schnell wären wie sie selbst und warteten daher ab. Die Franzosen wiederum gingen davon aus, die Deutschen seien genauso langsam wie sie selbst, es gäbe also keinen Grund zur Sorge. Der erste Vorstoß des Krieges – die militärisch unsinnige und für die unterlegene Seite riskante Besetzung von Saarbrücken – ging von den Franzosen aus. Preußen gewann den Krieg schlussendlich deutlich – die Mobilisierung war nicht das einzige, bei dem es den Franzosen überlegen war. Hätten die Deutschen allerdings ihre schnellere Mobilisierung ausspielen können, wäre der Sieg womöglich noch schneller und verlustärmer zu erreichen gewesen.

Dem Fehler dahinter, der 1870 Deutsche und Franzosen gleichermaßen traf, begegnen wir auch heute vielfach: Im Zweifelsfall geht man davon aus, dass die andere Seite, mit der man im Konflikt steht, genauso ist, wie man selbst, mit den gleichen Fähigkeiten und dem gleichen Wissen ausgestattet. So abstrakt aufgeschrieben, ist offensichtlich, dass dies ziemlich unsinnig ist. Dass zwei Menschen oder zwei Unternehmen genau gleiche Fähigkeiten und Wissen haben, das ist unrealistisch. Trotzdem verfällt man leicht dieser Annahme: in eigener Selbstüberschätzung (wie die Franzosen) oder in Überschätzung des anderen (wie die Deutschen).

Deswegen lohnt es sich, sich hin und wieder vor ein weißes Blatt Papier zu setzen und aufzuschreiben, was man wirklich sicher über sein Gegenüber weiß – ohne zuvorderst an sich selbst zu denken.

Geschrieben im April 2023 | Kategorie: Unternehmenskultur

Menschenbilder im Management

Camus‘ „Mythos von Sisyphos“Aus Camus‘ „Mythos von Sisyphos“ habe ich besonders eine Kontrollfrage mitgenommen, um sie gegen theoretisch-abstrakte Weltdeutungen und die daraus abgeleiteten Strategieempfehlungen zu werfen: Und wenn es wirklich so wäre, was macht das dann aus dem Menschen? Das sprach mit dem Informatiker in mir, der weiß, dass man ab einer gewissen Komplexität Software nicht mehr Zeile für Zeile verstehen kann, sondern stattdessen zum Testen und Bewerten des Outputs übergeht.

Wann immer ich in Managementseminaren sitze oder Managementliteratur lese, werfe ich diese Frage deren Inhalt entgegen. Mit derzeit leider recht unbefriedigendem Ergebnis: Das Menschenbild, das hinter der gegenwärtigen Managementideologie steckt, scheint recht durchgängig – trotz unterschiedlicher Themen und Ansätze – eines zu sein, das den Menschen als ausschließlich gut (und gutmütig) begreift. Ihm stünden noch Hindernisse entgegen, dies auch auszuleben – fehlende Akzeptanz von Emotionen oder mangelhafte Reflektion über Menschlichkeit oder schlechte Organisation –, aber überwinde man diese Hindernisse, dann würde das gute und richtige immer gewinnen (und die Unternehmen dann natürlich auch noch erfolgreicher sein).

Es ist ein durch und durch naives Menschenbild, das konfrontiert mit Büchners Frage, was es ist, das in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet, nur ahnungslos mit den Schultern zucken kann. Interessant ist das auch deswegen, weil das Bild des klassischen Managers das eines rationalen Entscheiders ist, der um ein realistisches Menschenbild schon als Voraussetzung von Rationalität nicht herum kommt. Dazu steht die aktuelle Managementliteratur in fundamentaler Opposition.

Geschrieben im Dezember 2022 | Kategorie: Unternehmenskultur

Assessment Center

Schulische und universitäre Prüfungen haben etwas artifizielles: Nie wieder im beruflichen Leben wird die Leistungsbewertung so komprimiert auf eine ganz konkrete Prüfungssituation stattfinden, ohne dass das Davor oder das Danach eine große Rolle spielt. Es gibt für Klausuren keine Entsprechung im bürgerlichen Leben.

Noch am nächsten kommen den universitären Prüfungen im Berufsleben Assessment Center bei Einstellung oder Beförderung. Doch geht es bei Klausuren um einen abgegrenzten Stoff, dessen performative Kenntnis abgefragt wird, geht es in Assessment Centern um etwas anderes: Kann der Bewerber die Erwartungen, die an ihn gerichtet sind, (1) erkennen und (2) erfüllen. Schon in der ersten Aufgabe liegt eine Herausforderung: Unterschiedliche Konzerne mit unterschiedlichen offiziell verlautbarten Unternehmenskulturen haben auch unterschiedliche Anforderungen an den Habitus ihrer Neuzugänge. Auch über Hierarchieebenen kann sich die Erwartung verschieben. Es ist die Aufgabe der Bewerber, diese Erwartungen zu (er)kennen. Und dann gilt es auch noch, diese erkannte Erwartung durch gezeigtes Verhalten spontan und womöglich in einer künstlich herbeigeführten Stresssituation auszufüllen.

Damit hat das Assessment Center zwar das artifizielle der Situation mit der universitären Prüfung gemeinsam, es werden anders als bei letzterer allerdings Fähigkeiten getestet, die für den beruflichen Erfolg maßgeblich sind: Erwartungen erkennen und erfüllen zu können, ist ein wesentlicher Eckpfeiler der Konzernkarriere. Im Prüfungsgegenstand ist das Assessment Center damit lebensnah und keineswegs artifiziell.

Geschrieben im Oktober 2020 | Kategorie: Unternehmenskultur

Re: The Trouble With Talking

Zu: Kathrin Passig im Merkur, Dezember 2018: The Trouble With TalkingGrundsätzlich halte ich die schriftliche Kommunikation der mündlichen gegenüber für überlegen und würde den langen Text jederzeit, zumindest bei komplexen Themen, dem Gespräch oder Vortrag vorziehen. Ich teile auch die Argumente, die Kathrin Passig dazu im Merkur vorträgt, nämlich dass schriftliche Kommunikation eigentlich weniger missverständlich sei als die mündliche und auch weniger anfällig für Diskriminierung. Zwei einschränkende Anmerkungen aus dem Unternehmensalltag heraus für die Praxis will ich dennoch machen:

Erstens: Das Ergebnis der Abwägung zwischen dem Schriftlichen und dem Mündlichen fußt auf der Annahme, dass die Akteure die schriftliche Form mindestens so gut beherrschen wie die mündliche. Das ist in einem literatur- oder universitätsnahen Umfeld vermutlich zutreffend. In meinem Unternehmensumfeld ist dem nicht so. Ich habe schon Mails gesehen, die als freundliche Nachfragen an den Chef gemeint waren, sich aber wie Putschversuche gelesen haben – und vom Chef auch so interpretiert wurden (mit den entsprechenden negativen Nebenwirkungen für den Absender). Oder Mails, die als Alarmmeldung gedacht waren, deren brisanter Inhalt ausnahmsweise Schriftgröße 32, rote Farbe und Fettdruck gerechtfertigt hätten, niedergeschrieben aber wie eine freundlich und höflich vorgetragene Bitte klangen. In der schriftlichen Kommunikation sind manche in meinem Umfeld einfach sehr, sehr schlecht.
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Geschrieben im Dezember 2018 | Kategorie: Unternehmenskultur