Es ist ein Thema der regelmäßigen Klage in den Feuilletons: Der Lohn, den Übersetzer je übersetzter Normseite erhalten, sei seit Jahren nicht gestiegen. Daraus ergebe sich, so wird geschlussfolgert, ein sinkender Reallohn für diese Berufsgruppe. Ich bin mir nicht sicher, ob die Schlussfolgerung stimmt. Denn, was sich die letzten Jahre ebenfalls verändert hat, ist die Produktivität der Übersetzer. Dank digitaler Hilfsmittel wie DeepL ist diese erheblich höher als noch vor einigen Jahren. DeepL hat eine gewaltige Menge von Übersetzungen eingesammelt und findet so – grob gesprochen – zu Sätzen, die jetzt neu übersetzt werden sollen, ältere Übersetzungen oder setzt sogar unterschiedliche ältere Übersetzungen nach einem statistischen Muster in einen Vorschlag zusammen, der häufig eine ziemlich passende Übersetzung ist. Das ganze liefert die Software leicht zu bearbeiten und fertig zum abschließenden Copy & Paste in das Zieldokument. Diese Produktivitätssteigerung führt dazu, dass selbst bei gleichbleibenden Lohnstückkosten – dem festen Lohn je Normseite – bei aber gleichzeitiger Mengensteigerung sich doch ein steigender Lohn für Übersetzer ergibt. Gerade bei durchschnittlichen Übersetzern mit durchschnittlichen Texten wird die Produktivitätssteigerung vermutlich so groß sein, dass auch die Reallöhne gestiegen sind.
Einen ähnlichen Effekt wie DeepL bei Übersetzern hat Stackoverflow für Programmierer: Als ich damals mit dem Programmieren angefangen habe, haben wir auch schon reichlich Google bemüht. Allein: Google lieferte vielleicht hin und wieder mal eine Idee, aber eigentlich nie fertige Lösungsskizzen oder gar per Copy & Paste verwendbaren fertigen Code. Wenn ich heute programmiere – das Hobby verlässt einen ja nicht und eine bessere Form sich mit der eigenen Fehlbarkeit auseinanderzusetzen, als den gerade frisch geschriebenen Code zu debuggen, habe ich bisher nicht gefunden –, bringt mich Google sofort zu Stackoverflow. Dort hatte nicht nur jemand genau das gleiche Problem, es findet sich auch genau der Code, mit dem andere dieses Problem gelöst haben. Fertig formatiert für den Einsatz via Copy & Paste. Dass die Gehälter von Programmierern in den letzten Jahren überdurchschnittlich angezogen sind, hat vermutlich – neben der ungebremsten Nachfrage – etwas damit zu tun, dass Stackoverflow die Produktivität gerade des durchschnittlichen Programmierers erheblich gesteigert hat. Programmierer lösen dank der Unterstützung mehr Probleme in kürzerer Zeit. Sie verdienen daher auch mehr, selbst wenn der Arbeitgeber ihnen umgelegt nicht mehr pro Stück Problemlösung zahlen würde, die Lohnstückkosten für ihn also gleich geblieben sind.
Das Profitieren von digitalen Tools, eine intellektuell anspruchsvolle und doch vergleichsweise repetitive und Mustern folgende Tätigkeit und dass in beiden Berufsgruppen das Homeoffice so deutlich präferiert wird: sowieso scheinen mir Übersetzer und Programmierer recht viel gemeinsam zu haben.
Geschrieben im November 2022 | Kategorie: Technologie
Die drei großen Kränkungen der Menschheit – dass die Erde nicht Mittelpunkt des Universums ist (Kopernikus), dass der Mensch vom Affen abstammt (Darwin) und dass wir auch nicht Herr im eigenen Kopf sind (Freud) – haben wir eigentlich ganz gut verwunden. Theoretisch interessant, pointiert formuliert (wieder Freud), aber im Alltag doch nicht wirklich zu spüren.
Eine andere Kränkung dagegen ist sehr gut zu spüren – wenn man ihr denn nicht bewusst ausweicht: Die Beschäftigung mit der Geschichte. Man mag für einen kurzen, naiven Moment glauben, dass die Probleme vor denen man persönlich, die Gesellschaft oder die gesamte Welt steht, einzigartig und besonders schwerwiegend seien. Schon der oberflächliche historische Blick lehrt: Sie sind es nicht. Wirtschaftsgeschichte ist sowieso ziemlich repetitiv, der Wandel verläuft derzeit vergleichsweise langsam und arm an Konsequenzen für Betroffene (neue Webseiten vs. Industrialisierung). Die Gesellschaft war einst deutlich gespaltener bis hin zum Bürgerkrieg (Weimarer Republik), davon sind wir heute doch recht weit entfernt. Und neben der drohenden Auslöschung durch einen Atomkrieg mag man auch den Klimawandel für beherrschbarer halten, zumal für diesen nebenwirkungsarme Lösungen bekannt sind (Atomkraft).
Dass die eigenen Probleme im historischen Vergleich einigermaßen klein und lösbar erscheinen, ist die viel größere Kränkung. Als führten wir – allem »Reenactment« früherer Auseinandersetzung zum Trotz – doch nicht heldenhaft den schwersten Kampf aller Zeiten, sondern ein eher geringfügiges Nachgefecht.
Geschrieben im Oktober 2022 | Kategorie: Betrachtungen
Auch wenn man es uns an manchen Stellen mit kreativen Designs, bunten Bildern und bombastischen Videos vergessen machen möchte: Das Internet ist im Kern ein Medium zum Austausch von verlinktem und verlinkendem Fließtext. Ob Websites, Emails oder Chats: Im Mittelpunkt stehen lange und kurze Texte und davon hat sich eine überwältigende Masse angesammelt. Die primäre Kulturtechnik zum Konsum und zur produktiven Nutzung des Internets und seiner Inhalte ist daher das Lesen.
Informatikunterricht in der Schule ist vermutlich nicht verkehrt, leitet er doch für eine Minderheit über in eine IT-Karriere. Aber das wichtigste Schulfach für den Umgang mit dem Internet für wirklich alle ist das Fach Deutsch. Je besser man lesen kann, sprich: je besser man komplexe Texte erfassen, verstehen und einordnen kann, desto mehr kann man mit dem Internet anfangen und desto mehr Nutzen (und Freude) kann man aus diesem ziehen.
Deswegen sollte sich, wer an das Internet glaubt, vor allem für einen befähigenden Deutschunterricht einsetzen. Das ist noch wichtiger als jedes Engagement für mehr Informatikschulstunden.
Geschrieben im September 2022 | Kategorie: Technologie
Dissertation: »Glasfaserausbau im deutschen Telekommunikationsmarkt«
2022 wurde ich mit einer Dissertation, die sich mikroökonomisch mit dem Telekommunikationsmarkt und hier speziell dem Glasfaserausbau auseinandersetzt, zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften (»Dr. rer. oec.«) promoviert.
Eine schnelle Internetanbindung für Haushalte und Unternehmen in Deutschland ist von der Politik als ein wesentlicher Treiber für die Wettbewerbsfähigkeit des Landes im 21. Jahrhundert erkannt worden. Die wirtschaftliche Entwicklung hinge dabei erheblich davon ab, mit einer entsprechenden Anbindung die Digitalisierung voranzutreiben. Absehbar würden aber die Bandbreiten, die auf dem heute dominierenden DSL- beziehungsweise Kupfernetz erreicht werden, nicht mehr ausreichen, um den steigenden Bandbreitenhunger neuer Dienste, wie Cloud-Anwendungen bei Unternehmen oder »Virtual Reality« bei Privatkunden, zu bedienen.
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Geschrieben im Mai 2022 | Kategorie: Technologie
Milton Friedman gehört zu den wenigen Intellektuellen, denen ich in Managementausbildung und Unternehmenstrainings mehrfach begegnet bin. Ich glaube sogar, ohne das sicher sagen zu können, er ist bisher der einzige. Leider – und das ist die erste Tragik – jedes Mal als Zerrbild.
Natürlich geht es immer um seine Haltung zur sozialen Verantwortung von Unternehmen. Die Tragik beginnt, weil schon sein Kernargument verpasst wird: Natürlich schreibt Friedman, dass schon (1) die dürftige Definition von »sozialer Verantwortung« Debatten verunmöglicht. Und recht hat er vermutlich auch damit, dass (2) viele Unternehmen wirtschaftlich-motivierte Vorhaben einfach unter diese Überschrift stellen, also sozusagen schummeln. Dass (3) angestellte Manager auf Kosten ihrer Eigentümer persönlich als Wohltäter dastehen wollen – also das klassische Principal-Agent-Problem – stimmt vermutlich ebenfalls. Aber Friedmans wichtigster Punkt ist ein anderer. »Capitalism and Freedom«, das Buch, in dem er seine Gedanken dazu ausbreitet, handelt vor allem von der Freiheit. Friedman ist vor allem Parteigänger der Freiheit, also dass Interaktionen, Zusammenarbeit und Geschäfte auf der Freiwilligkeit der beteiligten Individuen basieren. Diese Freiheit sieht er im Wirtschaftssystem am besten verwirklicht und diese verteidigt er deswegen dort mit Leidenschaft.
Das Hauptproblem, das Friedman mit sozialer Verantwortung von Unternehmen, die über wirtschaftliche Ziele hinaus geht, sieht, ist die Gefahr, dass bestimmte Ansätze einer sozialer Verantwortung die Sphäre der Freiheit, die Wirtschaft, politisieren. Politische Systeme aber treffen verbindliche Entscheidungen, an die sich jeder zu halten hat, ob er zustimmt oder nicht. Das politische System beruht zwingend nicht auf Freiwilligkeit.
Man kann über Friedmans Argument streiten. Aber eins ist unbestreitbar: Dass sich der Alltag und die Wirtschaft seit Friedmans Zeiten politisiert hat. Das ist die zweite Tragik: Wenn Postmoderne heißt, dass die unterschiedlichen Subsysteme der Gesellschaft aufeinander übergreifen, es also zu einer Verrechtlichung außerhalb des ursprünglichen Rechtssystem, zu einer Verwirtschaftlichung außerhalb des wirtschaftlichen Raumes und eben auch zu einer Politisierung des ganzen Lebens kommt – und da gibt es, glaube ich, heute wenig Widerrede – dann ist für Friedman wirklich nur noch als Zerrbild Platz im Diskurs. Er verteidigt dann eine politikferne Freiheit in der Wirtschaft, die längst verloren gegangen ist.
Geschrieben im Februar 2021 | Kategorie: Betrachtungen