„Culture eats Strategy for Breakfast.“

„Culture eats strategy for breakfast.“ Dieser Satz wird Peter Drucker zugeschrieben. Google liefert dazu über 100.000 Ergebnisse – das qualifiziert wahrscheinlich schon zum Allgemeinplatz. Er soll ein übliches Problem bei der Erarbeitung von Unternehmensstrategien pointiert aufrufen. Ich will ihn einmal im Detail diskutieren.

Was ist Strategie? Darüber, was inhaltlich eine Strategie ausmacht, lässt sich sicherlich lange streiten. Sowohl über die Abwägung zwischen Abstraktion und Konkretem, die Gewichtung von Kurz-, Mittel- und Langfristigem als auch um die Schärfe in den üblichen Why-, What- und How-Fragen. Der Versuch, der inhaltlichen Befüllung des Strategiebegriffst ist auch untrennbar verbunden mit einer Wertung über die Strategie. Beschrieben wird in der Business-Literatur üblicherweise nicht, was eine Strategie als solche ist, sondern nur, was eine gute Strategie wäre. Inhaltlich greifen lässt sich die Strategie nicht.

Einfacher ist, Strategie nicht inhaltlich, sondern vom Prozeduralen her zu definieren: Strategie ist genau das, was von der Unternehmensführung als solche proklamiert wird. Auch wenn der Prozess partizipativ ausgestalten werden kann, Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchiestufen mitwirken, steht am Ende des Prozesses doch immer eine formale Entscheidung des höchsten Organs der Organisation. Eine Konzernstrategie wird nicht arbeitsteilig von der zuständigen Strategieabteilung in Ressortzuständigkeit erstellt und beschlossen, was ja bei anderen ebenfalls wichtigen Entscheidungen für andere Fachabteilungen und -ressorts durchaus üblich ist. Sie wird vom Konzernvorstand entschieden. In den nachgeordneten Einheiten und Töchtern für die Bereichsstrategie gilt das gleiche. Die Strategie ist folglich immer eine durch formale Beschlussfassung gesetzte Maßgabe, die top-down in die Organisation fließt und die – wir verlassen die prozedurale Definition und werden anekdotisch – gewöhnlich die Vorstellung des Top-Managements über die weitere Entwicklung des Unternehmens beschreibt.

So viel zur Strategie. Und was ist Kultur? Ist Kultur überhaupt der richtige Begriff, die richtige Übersetzung von „culture“? Kultur ist im Deutschen im philosophisch-anthropologischen Diskurs ein begriffliches Schwergewicht. Die Definitionen von Unternehmenspraktikern und Business School aber haben wenig mit dem zu tun, für das Kant die „Idee der Moralität“ als zwingende Voraussetzung sah und das von Zivilisation abzugrenzen sei. Es hat auch wenig mit dem zu tun, was Luhmann mit der „Beobachtung der Beobachtung“ beginnen sieht. Als deskriptiver Begriff für ein Unternehmen – oder besser: als Beschreibung für die Menschen, die für dieses arbeiten, also eine soziale Gruppe – ist er ein maßloser Begriff. Mag Deutschland auch vor allem Kulturnation sein, das Parthenon ein symbolischer Fixpunkt für die(!) europäische Kultur, wird neuerdings in Anspruch genommen, dass jedes Unternehmen seine eigene Kultur habe. Interkulturalität würde dann folglich nicht mehr nur meinen, die Unterschiede zwischen Chinesen und Deutschen zu verstehen, sondern auch zwischen BMW-Belegschaft und Daimler-Mitarbeitern. Und trotzdem meint „Culture eats strategy for breakfast“ nicht, dass die Merz’sche deutsche Leitkultur die Strategie auffrisst, sondern, dass etwas Spezifisches im Unternehmen die angestrebte Strategieentfaltung verhindert. Kultur als ein empirisch erlebbares Konstrukt aus sozialen Normen, Konventionen, Regeln, untrennbar verbunden mit den dahinterliegenden Grundeinstellungen und Wertvorstellungen, die spezifisch sein sollen für die soziale Gruppe, welche im Unternehmen verbunden ist. Beschreibbar wird die konkrete Kultur erst im Vergleich mit der Kultur anderer Unternehmen. Reale Beschreibungen grenzen gleichwohl an Klischees: So sei das Start-Up dynamisch, der Konzern behäbig aber machtvoll, der Mittelständler pragmatisch. Die Beschreibungen ähnlicher Unternehmen lesen sich annähernd gleich. Bei jeder Einzelbeschreibung stellt sich die Frage, ob nicht hier nur einmal mehr wieder das Sein das Bewusstsein schafft. Ob also nicht vielmehr die Rahmenbedingungen des Unternehmens einen Sachzwang erzeugen, denen die (diesmal) positiv gesetzte Unternehmenskultur nur eine intellektuelle Bemäntelung, einen geistigen Überbau gibt. Man will fast mit Marx’scher Ideologiekritik weitersprechen: Um sie erträglich zu machen.

Wie ist das Verhältnis des Individuums zu dieser Kultur? Der einzelne Mitarbeiter findet sie vor, er ist Kulturnehmer, fügt sich in das ein, was er als diese wahrnimmt. Im Kern ist die Unternehmenskultur eine kognitive Leistung des Beobachtens und des Weiterdenkens des Beobachteten. Und diese Beobachtung ist nicht nur subjektiv, sie ist vor allem selektiv. Kein einzelner überblickt das ganze Unternehmen.

Mag dieser Kulturbegriff deskriptiv sein, so ist es der Satz vom Anfang selbst nicht: In ihm versteckt sich ein Appell. Wenn Strategie an der Kultur scheitert, heißt das nicht, dass auf eine Strategie verzichtet werden soll. Es heißt auch nicht schwächer: Beim Strategieprozess ist die vorgefundene Kultur mitzudenken, auf gegen sie nicht durchsetzbare Strategieelemente wäre also zu verzichten. Nein, es heißt: Strategie und Kultur sind gemeinsam anzupacken und zu verändern – als einheitlicher Transformationsprozess.

Doch wie die Kultur verändern? Wenn sie sich sowieso aus den Sachzwängen ergibt, dann könnte man es sich leicht machen: Einfach abwarten. Im Film „Margin Call“ sagt Jeremy Irons als kalter, rationaler Bankchef mit der Rettung des Unternehmens beschäftigt, dass es drei Wege zum Erfolg in der Finanzbranche gebe: Smarter sein als die anderen, das sei aber schwierig. Man könne auch schummeln, aber das sei auch keine Option. Also bliebe nur ein Weg: Schneller zu sein als die anderen. Oder anders ausgedrückt, angelehnt an Talleyrand: Auch in der Wirtschaft ist die Kunst, das Unvermeidliche zu erkennen und dessen Eintreten zu beschleunigen.

Noch einmal: Wie Kultur verändern? Ich will Kultur noch einmal aus einer anderen Perspektive betrachten: Als kollektive Erzählung, die durch Weitererzählen verändert werden kann. Auf diese kollektive Erzählung soll Einfluss genommen werden. Nicht abseits von den Sachzwängen, sondern deren Übersetzung in Unternehmenskultur beschleunigend, vielleicht sogar ein Stück weit vorwegnehmend. Die Grunderzählung meines derzeitigen Arbeitgebers war mal die eines Telefoniebehörde, dann die eines Telefonieunternehmens. Dann war es die eines Telefonieunternehmens mit angeschlossenem Internetanbieter, dann die eines Telefonieunternehmens und Internetanbieters, dann die des Internetanbieters mit zusätzlichem Telefoniegeschäft. Heute: Die eines Internetanbieters mit zusätzlichem Dienstegeschäft. Diese Entwicklung passierte offenkundig aus einem Sachzwang heraus. Aber sie kann immer noch langsam oder schnell passieren. Jede dieser Stufen braucht jeweils unterschiedliche kulturelle Werte und Einstellungen und auch die können langsam oder schnell zur Dominanz gelangen. Die Spuren und Rudimente der Kultur der Telefoniebehörde lassen sich immer noch im Unternehmen finden.

Wie die kollektive Erzählung beeinflussen? Sicherlich zum einen durch professionalisierte ideologische Arbeit. Eine Agility-Ideologie zu proklamieren mag ein guter Start sein. Darüber Reden zu halten und Pflichtseminare mag einen Einfluss haben, wenn es gut gemacht wird. Ich vermute aber: Andere Methoden des kollektiven Storytellings sind erfolgsversprechender als zentrale Verordnung und Zwangsbespaßung. In jedem Unternehmen passieren jeden Tag Dinge in unheimlicher Breite. Wenn das Schicksal und der Zufall es einigermaßen günstig mit dem Unternehmen meinen, wird es dabei Projekte geben, die im Geiste des Neuen stehen – und die auch schon in der Welt der Vergangenheit erfolgreich sind. Im Normalfall. Nutzen wir den selektiven Blick des einzelnen: Lenken wir ihn auf das günstig wirkende. Es bedeutet Zwang: Wer passendes (im Erweiterten: gutes) tut, der muss auch darüber sprechen. Es wird in den selektiven Blick gehoben. Der Manager, der zufällig am richtigen Ort ist, wird kommunikativ zum Vorreiter der Veränderung. Transformationskommunikation meint dann: Die richtigen Realhandlungen und Helden ins Rampenlicht zu schubsen.

Geschrieben im November 2018 | Kategorie: Unternehmenskultur