Selbstbild ohne Korrektiv
Dass das eigene Selbstbild von anderen ohne Einschränkung zum Nennwert akzeptiert wird, ist vermutlich jedermanns Wunsch. Nicht ohne Grund ist Luhmanns primäre Empfehlung zum erfolgreichen Umgang mit Vorgesetzten, diesen ihr Selbstbild zu reflektieren. Wenn der Chef sich für besonders eloquent, besonders innovativ oder besonders durchsetzungsstark hält, dann kommuniziert man mit ihm eben, als wäre er es wirklich. Genauso arbeitet auch die Werbung, die keine Sekunde daran zweifelt, dass wer sich für besonders männlich hält, deswegen besonders männliche Produkte kauft, eben auch besonders männlich ist. Eine schöne Welt, in der man nicht nur so akzeptiert wird, wie man ist, sondern sogar – noch viel besser – so, wie man sich selbst am liebsten sieht.
Viele der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte haben damit zu tun, dass einzelne oder Gruppen einfordern, dass ihr Selbstbild von allen anderen ohne jede Einschränkung zum Nennwert akzeptiert wird. Da der Mensch der Disposition nach zur spöttischen Kritik neigt – umso mehr, je weiter Selbstbild und Wirklichkeit auseinanderfallen – kann das letztlich nur unter Einschränkung der Meinungsfreiheit funktionieren. Nur die Drohung mit Strafe kann einstweilen verhindern, dass über Absurdes gespottet wird. Aber kann das auf Dauer funktioniert? Ich habe meine Zweifel. Mit jeder Absurdität steigen die Kosten der Unterdrückung – und der Wille, die Wahrheit auszusprechen, wird stärker. Und uns alle – insbesondere die Mächtigen – durch Feedback des Umfelds in der Realität verankert zu haben, erscheint mir jetzt auch nicht gerade als Schreckenswelt.